Michel RENARD

Michel RENARD

Eigenschaften

Art Wert Datum Ort Quellenangaben
Name Michel RENARD
Beruf Köhler

Ereignisse

Art Datum Ort Quellenangaben
Geburt 26. Oktober 1698 Harzé / Lüttich nach diesem Ort suchen
Tod 1769
Heirat 31. Januar 1735 Retterath nach diesem Ort suchen

Ehepartner und Kinder

Heirat Ehepartner Kinder
31. Januar 1735
Retterath
Anna ZIMMER

Notizen zu dieser Person

> 26.10.1698 ist in Harzé (Lüttich) ein Michael Renard, Sv. Guilhelmi Renard und Joanna Gregoire geboren. (IGI)

1 Heirat oo 1735 Eodem (31.1.) Michael Renard ex Hart vallo Cum Dimission
à R.D.Pastore in Daun et Anna Zimmers ex Retterath Semtl. Copulati
sunt. (KB1 Retterath)

g 1730 Klage der Fuhrleute von Boos gegen den Kohlenbrenner Michel Reinardi und den Schultheißen Schäffges von Kalenborn wegen nicht gezahlten Fuhrlohnes. In erster Instanz gewonnen, in zweiter verloren. Intervention durch den Hüttenherrn de Requilé, der bereits eine gute Belieferung des Hüttenmeisters Bertram in Neuwied durch Michel Reinardi im Jahr 1729 bezeugt. (Staatsarchiv Wertheim, Abt. Freudenberg, Rep. 103-114, Nr. 1079, ehemals Abt. E, Nr. 22)
- g 1738 ff. Michel Renard, Kohlenbrenner in der Langhard. Abrechnungen, Schriftverkehr... (LHAKo Best.40 Nr.517)
- P 1736 Krämer in Salcherath als Michaeli Renart. (KB1 Retterath)
- P 1742 Juncker/Zimmer in Kempenich, Michael Reinert ex Retterath. (KB1 Kempenich)

Ggf. zweite Heirat mit Anna Scoop (Schopp) mit der er auch ein Kind gehabt haben könnte: P.Max.Halteborn, Gtd.Kalenborn; proles peregrini carbonnari Michaelis Rheinharts et Anna Scop. (KBVischel) "proles peregrini carbonnari" = auswärtiger Kohlenbrenner.

+ 1779 13.3. Reinards Gertrud, virgo improvisa morte obiit et Christianae sepulta est ex Landershofen. (KB Heckenbach) z.w. Keine Eltern genannt. Zuordnung lediglich wegen Namen und Ortsnamen.

DER PROZESS:

Ein Köhler aus dem Welschland

Man schrieb das Jahr 1729. An mancher Stelle im Neuwieder Raum war Anfang des 18. Jahrhunderts Erz gefunden worden: Auf dem sogenannten Friedrichberg unter Rockenfeld gelegen, An der Kopperfurth unter Niederhunnefeldt, bei der Anhäußer Mühle gleich über der anderen Seite des Berges, unter Grentzhausen und an vielen Orten mehr.[15] Wenn jemand in diesem nassauischen Gebiet am Rhein vom Eisenhandel sprach, dann sicherlich auch vom Hüttenmeister Johann Arnold Bertram.[16] Dieser beaufsichtigte den gesamten Bergbau und hatte damit das Sagen über die dort arbeitenden Menschen.[17] Männer und Kinder gruben oft mit bloßen Händen den Eisenstein aus dem Boden. Das Erz brachte jedoch nur Nutzen, wenn es fachgerecht verhüttet wurde. In riesigen Öfen schmolzen gelernte Arbeiter den Eisenstein. Heraus kam ein wertvolles Rohmaterial. Die Äbtissin des Augustinerinnen-Klosters St. Thomas bei Andernach, Isabella Maria Rosina von der Hees, hatte den vielfältigen Nutzen dieses Eisens und die damit möglichen Geschäfte wohl erkannt und deshalb schon zwei Jahre zuvor, nämlich 1727, beim Kölner Erzbischof Clemens August von Bayern, dessen weltliche Herrschaft als Kurfürst bis in diesen Bereich des linksrheinischen Neuwieder Beckens südlich von Andernach reichte, um die Genehmigung für den Bau eines Hammerwerkes bei Miesenheim (ein wenig oberhalb von Weißenturm) gebeten. Dieses Werk war nun 1729 so weit fertig, dass es produzieren konnte, denn es war kein Neubau erforderlich gewesen, sondern lediglich ein Umbau der alten Nettermühle, die bis dato über ein Mahlwerk verfügte. An dieser Stätte sollten nun Schwarzbleche entstehen.

Da reichte es freilich nicht, dass die Natur, sprich die Nette, das neue Werk ausreichend mit Wasser versorgte und der Betreiber genügend Eisen zum Verarbeiten heranschaffen ließ – es mußten Kohlen zum Feuern her![18] Die Schmelzmeister wollten schließlich ihre Öfen kräftig anheizen. Viele Kohlen waren vonnöten, reine Holzkohle, und die stammte aus dem Hinterland: der Eifel. Denn dort gab es trotz des ewigen Krieges und des jahrhundertelangen Raubbaues noch große Wälder. Die hohen Herren als Besitzer dieser Wälder hatten wohl bemerkt, wie sehr der Bestand angegriffen war. Ganze Bergkuppen waren mittlerweile kahl, für die Eisenindustrie, Baumaterial oder Reparationszahlungen mehr oder weniger unkontrolliert gerodet. Verordnungen mit Einschlagbegrenzungen sollten dem Baumbestand Erholung ermöglichen.[19] Wegen der enormen Einnahmen, die bislang mit dem Holzverkauf erzielt worden waren, hatten die Herrschaften zwar kein totales Verbot der Köhlerei erlassen, aber die Einschränkungen waren doch einschneidend.[20] Kein Wunder, dass die Betreiber der Eisenwerke immer neue Bezugsquellen auftun mussten, immer weiter wegvon der Hütte.[21]



So hatte auch der bereits erwähnte Hüttenmeister Bertram von Neuwied wohl einige Zeit suchen und Beziehungen spielen lassen müssen, ehe er den richtigen Geschäftspartner fand: Michel Renardi, ein Kohlenbrennermeister[22], der von einem Wald in der Herrschaft Virneburg wusste, dessen Holz zum Brennen taugte und das er erwerben könnte. Angesichts der Holzknappheit war Bertramfroh, einen Meister gefunden zu haben, jemanden, der es versteht, aus gutem Holz so viel Kohle wie möglich zu gewinnen, zudem auch noch solche, die einen hohen Wärmegrad erzielt. Die Sache war bald abgemacht. Ohne Verzögerung wurde Holz eingeschlagen. Kaum war das geschehen, da legte sich der Michel mächtig ins Zeug, und es dauerte nicht allzulange, da waren die besten Kohlen weit und breit fertig. Fuder für Fuder schafften die Leute aus den umliegenden Orten, aus Boos, Münk, Ditscheid und sogar von Mimbach, an den Rhein. Ein Kohlenkarren nach dem anderen holperte die Nette entlang. Züge mit bis zu zwölf Pferdekarren[23] waren unterwegs. Ochsen waren zwar auch dabei, aber sie waren nur noch selten vor den meist aus dünnen Stäben geflochtenen, einachsigen Wagen zu sehen, die wegen ihrer Bauweise beinahe von jedem nur "Kohlenkorb" genannt wurden. Ein jeder wohl mit 18 Fass beladen.[24]

Hart arbeiten konnten die Fuhrleute wohl, nur mit Geschäftsgebaren kannten sie sich nicht recht aus. Und so kam es, dass ihnen erst während der Arbeit der Gedanke kam, was sie denn für ihre Leistung für einen Lohn haben sollten. So berieten sie sich, fast 40 an der Zahl, und erkoren schließlich die beiden Förster Mathias Einig aus Salcherath und Paul Bertram aus Mannebach dazu, an ihrer statt nach Neuwied zu gehen und mit dem Hüttenmeister Bertram zu verhandeln. Das taten die beiden auch. Sie schlossen am 8. Juli 1729 mit dem Meister einen schriftlichen Vertrag. Die Vereinbarung ging dahin, aus dem Erbenwald etwa 60 Fuder Kohlen an den "weisen Thurm" und "auf den Nettehammer" zu führen. Die Fuhrleute sollten für den einen Weg 13 und für den anderen Weg 12 Kopfstücke (ein Geldstück) nebst des Zolls erhalten.[25] Der Hüttenmeister versprach zwar damals, den beiden Unterhändlern für den Vertragsabschluss etwas Eisen zu geben, dashaben sie jedoch nicht bekommen. Dafür gab es Geld für die Fuhrleute.

Michel Reinardi nahm für die Fuhrleute aus dem Kirchspiel Retterath in der Regel bei Bertram das ihnen zustehende Geld in Empfang. Wer wieviel zu bekommen hatte, war am Kerbholz eines jeden Fuhrmannes abzulesen. Michel hat, so bezeugten die Förster später schriftlich, am 15. November 1730 vor dem Schreiber des Herren de Requille[26] sowie dem Retterather Pastor Johann Hoffmann und seinem Vikar Stephan Grün das Geld immer richtig abgegeben. Die jammernden Fuhrleute, meist trierische Einwohner, hätten Michel nicht wie die anderen ihre Kerbhölzer anvertraut, und so hätte er ihnen auch kein Geld mitbringen können, beteuerten die Zeugen.[27]



Als wäre der Ärger mit diesen uneinsichtigen Fuhrleuten noch nicht Verdruß genug gewesen, stellte der Hüttenmeister Bertram jede Zahlung ein. Das brachte Michel in eine schwierige Lage, nicht nur wegen der anderen Fuhrleute. Er hatte schließlich den Wald aus eigener Tasche angezahlt und jetzt wollten die Verkäufer den Rest der verabredeten Summe ausgezahlt bekommen. So blieb Michel gar nichts anderes übrig, er musste den Wald, das heißt, was davon übriggeblieben war, wieder verkaufen. So kam er mit dem Schultheißen von Kalenborn, dem Peter Schäffges ins Geschäft und handelte sogar einen Vertrag aus, der ihm nicht nur das Geld für die Auszahlung der ersten Verkäufer brachte, sondern auch noch das Recht sicherte, gegen gutes Entgelt die Kohlenbrennen zu dürfen. Die Freude über den gelungenen Abschluss, bei dem ihm der Vikar Stefan Grün geholfen hatte, währte nicht lange: Die Fuhrleute von Boos, welche wohl in der Hauptsache diejenigen waren, die vom Hüttenmeister kein Geld bekommen hatten, befürchteten, hinter dem Weiterverkauf des Waldes stecke ein Betrug zu ihren Lasten, und machten einen enormen Aufstand vordem Amt in Virneburg. Sie zerrte den armen Kohlenbrenner Michel Renardi gar vor Gericht. Renardi habe sie angeworben, also sei er auch ihr Vertragspartner, klagte Johannes Freins, der Wortführer der Booser, als im September 1730 der Prozess eröffnet wurde.[28] Michel Renardi habe die Bewohner von Boos "in arge Noth gestürzt", schimpften Freins und Consorten.

Wie arg die allgemeine Not zu dieser Zeit war, zeigt ein Gesuch[29], mit dem sich Virneburger Untertanen zu Retterath am 23. Mai 1730 an die Landesherren in Wertheim gewandt und an die "vorigen Kriegsempörungen" erinnert hatten. Die Booser, also offenbar ebenfalls wegen des vorherigen Krieges notleidend, konnten bei Bertram nichts holen, denn er saß im Nassauischen, also imAusland. So versuchten sie, sich an Michel schadlos zu halten. Sie beantragten, sowohl den Erlös für den Waldverkauf an den Schultheißen Schäfges als auch die noch vorhandenen Kohlen mit"Arrest" belegen zu lassen, also zu sperren. Dem folgte das Gericht teilweise.[30] Denn wegen des Gezeters der Fuhrleute begann es selbst hinter dem Weiterverkauf des Waldes einen saftigenBetrug zu wittern und nahm sich folglich den Ablauf des Waldkaufes und -verkaufes genauer vor.

Ein eigener Verhandlungstag musste her. Zu diesem erschienen der Vogt im Kirchspiel Retterath, Peter Michels, der Franz Gilgenbach als Heimbürger zu Retterath, der Nikolaus Guntert von Arbach und der Stephan Schmit von Mannebach. Sie hörten von den Erben des Waldes genaueres zum Ablauf des Zahlungsverkehrs: Die Erben gaben an, mit dem "Meister Michell" am 2. April 1730 einen Kaufvertrag geschlossen zu haben. Ein Taler für das Klafter Holz[31] war vereinbart worden. Michel hatte ihnen 14 Tage später auch zehn Taler angezahlt. Als sie Mitte Mai vom Köhler sechs weitere Taler (wohl der Rest der Kaufsumme) forderten, hörten sie vom Klagen der Fuhrleute und einer Verfügung des Landvogten Burkart, der das Geld für die Booser, das der Köhler von seinem Hüttenherrn bekommen hatte, mit Arrest belegt hätte.

Die Waldbesitzer bekamen ihr Geld erst im August. Die Zahlung der letzten sechs Reichstaler an die Erben des Blochtales soll im Beisein des Schreibers Jacobi, welcher für den Hüttenmeisterde Requille in Koblenz arbeitete, im Wirtshaus zu Retterath geschehen sein. Vom Schultheißen Schäffges sei dabei nicht die Rede gewesen sein, also habe man Renardi für den rechtmäßigen Käufer des Waldes gehalten.[32]

Der Schultheiß von Kalenborn blieb mit der Begründung "er habe genug zu tun" dem Prozess zunächst fern. Erst an einem weiteren Verhandlungstag, eine Woche später (es war ihm wohl die Erstattung der Spesen in Aussicht gestellt worden), bemüßigte er sich, vor dem Gericht zu erscheinen und versuchte, sein Anrecht am immer noch gesperrten Holz geltend zu machen, drohte gar mitSchadensersatzansprüchen. Er habe mit dem "Meister Michell" einen "schriftlichen accord" aufgerichtet, den schließlich der Vikar Grün geschrieben und bestätigt habe, was die ganze Aufregung soll, verstehe er nicht, und mit den Fuhrleuten habe er schon gar nichts zu schaffen. Zudem habe Michel Renardi in dem Vertrag gleichzeitig den Verzicht auf die Kohlen per eigenhändigerUnterschrift (Ein Kreuz als Hauszeichen ist auf der Urkunde zu sehen[33]) bekundet.[34] Die Fuhrleute, die damit ihre Sicherheit schwinden sahen, verlangten nun nach der Annullierung des Vertrages zwischen Schäffges und Renardi, wegen "Mangell an behöriger Formalitäten". Das Gericht erkannte den zweiten Verkauf jedoch an ("bis dessen Nichtigkeit erkennbar sei") und lockerteden Arrest zugunsten des Schultheißen. Dabei behielt es sich aber ausdrücklich ein Vorgehen gegen Reinardi vor. Schließlich klagten 40 Fuhrleute, eigene Untertanen und kein "hergelaufenerFremdländer", wie Michel in ihren Augen einer war. Die Fuhrleute führten schließlich "falsche Aussagen von Michel" gegen ihn an (Vielleicht waren sie auch schlicht falsch protokolliert worden?). So hätte er behauptet, das Geld zur Zahlung des Waldes vom Hüttenherrn de Requille in dessen Quartier zur Lilien in Koblenz empfangen zu haben, was jedoch in der Pastorei in Retterath durch den Schreiber Jacoby geschehen sei. Außerdem belege das Protokoll, dass die Fuhrleute nicht mit Bertram sondern mit Michel einen Vertrag hätten.

Immer mehr solcher Nebensächlichkeiten kamen ins Spiel. Und was dem Gericht offenbar gar nicht gefiel, war Michels Sturkopf. Denn Michel folgte nicht nur nicht dem Befehl, sich mit Bertramzu bereden – was zweifelsohne keinen Sinn gehabt hätte – sondern verweigerte auch noch den Eid, dass der Vertrag mit Schäffges nicht vorsätzlich zum Schaden der Fuhrleute geschlossen worden sei. Gerade letzteres machte ihn in den Augen der Oberen suspekt. Des Angeklagten Einwände halfen nichts, das Unausweichliche folgte: Michel wurde schuldig gesprochen. Es hatte auch nichts genutzt, dass der Retterather Vikar Stephan Grün bestätigt hatte, den Vertrag über den Weiterverkauf des Waldes eigenhändig aufgesetzt und unterschrieben zu haben, sowie betont hatte,von einem Betrug nichts zu wissen. Nach dem Motto "Wer bestellt, bezahlt", wurde dem armen Kohlenbrenner der Prozess gemacht.

Die Verhandlungen hatte sich lange hingezogen. Die Akte war sogar am 14. Oktober 1730 von Ludwig Moritz Graf zu Löwenstein (vom Geschlecht Löwenstein-Wertheim, das seit ungefähr 1600 die Virneburg besaß[35]) persönlich an das Präsidium in Frankfurt gegeben worden, mit dem Vermerk, der Fall solle "pro justitia tractiert" werden. Das endgültige Urteil wurde schließlich in Wertheim am 25. Mai 1731 gesprochen.[36] Michel hat den Richterspruch offenbar nicht angefochten, zumindest keine Aufhebung erreicht, und auch nicht die Strafe gezahlt, sondern sich schnellaus dem Staub gemacht. Vielleicht hatte ihm jemand verraten, dass er eingesperrt werden sollte, wenn er nicht zahlen. 1732 heißt es: "Der liederliche Kohlenbrenner reinardi hat inzwischenhießiges territorium mit keinem Fuß betreten, sondern, wie ich Vernehme, sich Vorlängst ins Welschlandt zurückbegeben, wird also die Ihm angesetzte Strafe ad 20 Reichsthaler wohl Suspendiert bleiben müssen."[37]

Demnach war der Angeklagte verschwunden, zurück in seine Heimat gegangen, die im französischen Sprachraum zu suchen ist. Doch stimmte diese Mitteilung überhaupt? Handelt es sich beim Kohlenbrenner Michel Renardi um den späteren Ehemann von Anna Zimmer – und davon ist auszugehen[38] –, dann hat er sich keinesfalls "ins Welschland zurückbegeben", sondern höchstens für einigeZeit in einer benachbarten Grafschaft (offenbar in Daun) aufgehalten und damit dem Zugriff der Virneburger, sprich der an der Tauber sitzenden Grafen von Löwenstein-Wertheim, entzogen. InBoos hat sich Michel sicherlich nicht mehr freiwillig blicken lassen.

Als Justizopfer bot sich der Köhler Michel Renardi geradezu an. Er war ein Fremder, und da war es kein Wunder, wenn Gericht und Obrigkeit mehr um das Wohl von über 40 Fuhrleuten, eigenen Unterthanen, besorgt waren. Außerdem galt der "schwarze Mann" in der ganzen Eifel allgemein als unheimlicher Gesell und musste sich eine pauschale Beurteilung als "Heide" gefallen lassen. Bediente er sich nun auch noch einer anderen Sprache oder eines anderen Dialekts – was in unserem Fall wahrscheinlich ist –, dann erhöhte das in den Augen der Einheimischen noch den Eindruck des Fremden und Unheimlichen. Das Beispiel des Gerichtsprozesses von Tobias Müller aus Antweiler vom Herbst 1683 mag Beleg dafür sein: "Die Welschen dahier in der Eyssenschmitt wohnhafft, 7 an der Zahlen, am 22 Septembris haben den Tobias Müller von dahier, wie er aus der Meißen (=Messe) naher Hauß zu gehen gemeint, auff der brücken angefallen und mit Knüppeln jemerlich zerschlagen, blutrünstig gemacht und gar zu todt geschlagen hetten, wann er, Müller, nicht entlauffen were." Die gerichtliche Untersuchung ergab dann jedoch, dass den Müller Tobias auch einerheblicher Teil der Schuld traf.[39]

Heimlich getraut?

Aber zurück zu unserem Michel Renard. Seine Bindung zur Kirche muss sehr intensiv gewesen sein. Nicht nur der bereits bekannte Vikar hat zu seinen Freunden gezählt, sondern offenbar auch die Familie des zirka 1734 neu eingesetzten Pfarrherren von Retterath. Denn als am 16.12.1736 das erste Kind von Michel und Anna zur Welt kam und noch am selben Tag getauft wurde, übernahmnicht nur der Vikar Stephan Grün eine Patenschaft, sondern auch die Schwester des Pastors, Anna Maria Schreibers[40]. So erhielt das Kind, ein Mädchen, wie es in der Eifel üblich war, denNamen der Patin und hieß fortan Anna Maria. Möglicherweise hatten Trauung und Taufe wegen der Verurteilung von 1732 geheimgehalten werden müssen. Das würde erklären, warum Michel und Annaam selben Tag wie drei andere Paare heirateten und warum Vikar und Pfarrersschwester die Paten des ersten Kindes waren: um alles besser vertuschen zu können. Schließlich hätten auch PeterZimmer (vermutlich Annas Bruder) oder Maria Zimmer (die Schwester) Paten sein können.[41]

Ein Auftrag in der Langhardt

Spätestens 1738 musste sich Michel jedoch nicht mehr verstecken. Er wohnte ganz offiziell in Retterath. In seinem Beruf war er auch geblieben; schließlich hatte er ein fundiertes Fachwissen, das ja auch niemals von irgendjemanden anzuzweifeln gewagt worden war. Weil es nun auch finanziell knapp wurde, suchte Michel Kontakt zu den benachbarten Grafen von Bassenheim, welche Herren auf Burg Olbrück bei Niederzissen waren. Diese Herren besaßen nicht nur ein ansehnliches Territorium, zu dem etwa Königsfeld (damals noch mit Stadtrechten) und der Gudenhof nördlichvon Sinzig gehörten, sondern auch ausgedehnte Wälder. Die Grafen konnten einen tüchtigen Kohlenbrenner gut brauchen, zumal sie Geschäfte mit den Hüttenmeistern am Rhein unterhielten. Einenrichtigen Vertrag gibt es zwar nicht mehr, jedoch eine Anfangsnotiz in den Abrechnungsunterlagen. Dort heißt es: "Den 22. February 1738 ist mitt Michel Renard Kollenbrenner accordirt (=vereinbart), daß Holtz auff seine Kost(en) in der Langenhart zu hawn undt zu verkollen, jedes F(uder) zwey undt ein halben R(eichstaler) courant und ein R(eichstaler) Drinckgelt so eodem empfangen."

Michel, durch den mißratenen Handel mit dem Hüttenmeister Bertram vorsichtig geworden, hatte nun klar ausgemacht, den Wald nicht eher einschlagen zu lassen, bis der Herr Remy[42] eine Anzahlung geleistet habe. Doch die ließ auf sich warten. Im Februar 1738 wandte sich Michel schriftlich an die Bassenheimer Herrschaft und bat, bei Remy auf die Zahlung seiner Rechnung zu drängen.[43] In dem Schreiben teilt er dem Grafen auch mit, vernommen zu haben, dass die Gemeinde Jammelshofen (zwischen der Hohen Acht und der Langhard) ihren Wald verkaufen wolle, der für den Preis von 120 Reichstalern sich nicht entgehen zu lassen sei. Um bis zur Anzahlung leben zu können, bat Michel um ein halbes Malter Korn. Sein Schreiben schloss er mit den Worten: "Verbleibe hochgedachter Herrschaft jederzeit treu, bereitfertigster Diener Michel Reinahrt in Retterath".

Der Brief ist zwar in Deutsch geschrieben, aber in keinem guten. Vermutlich ist er das Werk eines billigen Schreibers gewesen. Denn die Handschrift war keineswegs ungeübt — was sicherlichnicht dafür spricht, dass unser Michel zwischenzeitlich noch das Schreiben gelernt hätte; den Vertrag mit dem Kalenborner Schultheißen Schäffges hatte er ja 1730 nur mit einem Kreuz gezeichnet.

1738, als Michel auf die Weisung wartete, mit dem Holzeinschlag beginnen zu können, war die Geschichte mit dem angeblichen Kohlenfuhrbetrug entweder aufgeklärt oder aber schlicht vergessen. In diesem Jahr kam jedenfalls – immer noch in Retterath – die zweite Tochter zur Welt: Maria Catharina. Irgendwelche Heimlichkeiten waren kaum noch vonnöten, dennoch fällt auf, dass diePaten nicht aus Retterath selbst stammen: Johann Krämer, der Mann von Gertrud Simon, wohnte auf einem abgelegenen Hof bei Retterath, in Salcherath, und war ein guter Bekannter (vielleichtgar ein Verwandter). Bei einem Kind von Johann war Michael schon zwei Jahre zuvor Pate gewesen (Im Kirchenbuch ist sein Name bei dieser Gelegenheit "Renart" geschrieben). Die Namensgeberinfür Michels Tochter wohnte noch weiter weg: sie stammte aus Uersfeld und war die Ehefrau des dort lebenden Leonard Schmit.[44]

Während sich Anna um das Kind kümmerte[45] arbeitete Michel in der Langhard. Immer wieder wurden neue Bäume gefällt und zu Kohlen verarbeitet. Nicht immer ging alles glatt. Das lag zum Teil daran, dass dem Michel Kohlenbrenner unterstellt waren, die vom Herrn Remy angeheuert worden waren. Weil Michel aber nun nicht eher einen Kohlenhaufen anstecken wollte, bevor Remy eine Anzahlung geleistet hatte, gab es verschiedentlich Reibereien. Von einer dieser Auseinandersetzungen berichtete im April 17(38?) der "berth gullich" (Bert Geulich) zu Herschbach: Meister Michel hatte wieder einmal versucht zu verhindern, dass die Remy-Kohlenbrenner einen Haufen anstachen, ehe Geld da war. Da sagten ihm die anderen Köhler schlicht, dann könne er die Arbeit gefälligst ganz alleine tun. Dass Michel sie darauf hinwies, bei ihm in der Arbeit zu stehen, beeindruckte sie wenig. Schließlich bezichtigte ein Remy-Köhler gar den Michel die "alte Hütte"(wohl einen Meiler) verbrannt zu haben, worauf Michel allerdings ausfallend reagierte und den Köhler schalt: "Ich sollt Dich für einen Hundsfotten bis Du mir beweißt, daß ich die alte Hütte verbrannt haben soll!", und drohte gar dem frechen Untergebenen einen "uff die M(a)ull" zu geben, falls er ihn noch einmal derart bezichtige.[46]

Härtere Auseinandersetzungen scheint es nicht gegeben zu haben, und diesmal auch keine Gerichtsverhandlung. Dennoch hat die Zusammenarbeit von Michel mit den Grafen von Bassenheim nur zweiJahre gedauert. Die Abrechnungen schließen 1740. In dieser Zeit hat Michel jedoch ganz offensichtlich gute Arbeit geleistet. Enorme Mengen Kohle wurden von seinen Meilerplätzen an den Rhein nach Breisig und Brohl gebracht, wo sie auf Schiffe verladen wurden und teils nach Köln, nach Rheinbreidbach und anderswo verladen wurden. Ungeachtet des Vertragsendes scheint Michel der Langhard treu geblieben zu sein, denn in der schon etwas baufälligen Kirche St. Hypolyti[47] ließ Michel 1743 seine dritte Tochter taufen – auf den Namen Margaretha. Klar, dass die Patindenselben Vornamen hatte: sie hieß Margaretha Nohles. Der Pate war Joseph Lano und wohnte in Kempenich. So steht es zumindest im Taufbuch. Es handelt sich offenbar um den Arbeitskollegenund Nachfolger von Michel als Kohlenbrennermeister für die Grafen von Bassenheim, Joseph la Nuë.[48] Die Taufe hatte Michel sicherlich im Pfarrhaus bestellen müssen. Das war gerade 1741/42neu gebaut worden. Wo Michel aber gelebt hat, verrät das Kirchenbuch nicht. Vielmehr sind er und Anna als "fremdes Ehepaar" bezeichnet.

Zu den "Armen" haben Michel und Anna aber wohl nicht gezählt. Sonst hätten sie am 18. Januar, dem Tag nach St. Antonius, etwas Geld aus der uralten Stiftung des Wilhelm von Orsbeck bekommen, denn der hatte 1579 genau 1000 Taler für die Hausarmen der Orte, in denen er begütert war, angelegt. Allein für Herschbach fielen 1743 vier Taler und 40 Albus an Zinsen ab.[49] Und dasin einem Jahr, in dem mal wieder die Soldaten durch die Eifel zogen. Nur wenige Kilometer weiter in Richtung Osten, in Lederbach befand sich das Standquartier[50].

Michel und Anna waren wohl auch kaum in einer der alten Bruderschaften von Herrschbach Mitglied geworden. Schon 1623 bestanden die Hubertus- und die Schützenbruderschaft. Gerade 1743 kam die Bruderschaft der "allerseligen Jungfrau" hinzu, sie sollte 1872 unter dem Titel der "unbefleckten Empfängnis" erneuert werden. Vielleicht war die Volksmission der Jesuiten von Münstereifel im Jahr 1742 ausschlaggebend für ihre Gründung gewesen. Wiederholungen dieser Missionen, die meist acht oder vierzehn Tage dauerten und hauptsächlich dazu da waren, Protestanten zum Katholizismus zurückzuholen, fanden auch in den Jahren 1744 und 1751 statt und mögen den Bestand der Bruderschaft gefestigt haben. Zu dieser Zeit hatten Michael und Anna aber bereits Herschbach wieder verlassen. Sie waren in Richtung Adenau gezogen. Gleich auf der anderen Seite des Berges waren sie auf den Adorferhof gestoßen. Dort kam 1746 ihr einziger bekannter Sohn zur Welt: Joseph Reinard.

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