Carl Friedrich Eduard VOIGT

Carl Friedrich Eduard VOIGT

Eigenschaften

Art Wert Datum Ort Quellenangaben
Name Carl Friedrich Eduard VOIGT
Beruf Kaufmann, Musikmäzen
Religionszugehörigkeit evgl.-luth.

Ereignisse

Art Datum Ort Quellenangaben
Geburt 26. November 1805 Naumburg, Saale nach diesem Ort suchen
Tod 15. Juni 1881 Leipzig nach diesem Ort suchen
Heirat 20. Januar 1841 Leipzig-Schönefeld nach diesem Ort suchen

Ehepartner und Kinder

Heirat Ehepartner Kinder
20. Januar 1841
Leipzig-Schönefeld
Bertha Carolina CONSTANTIN
Heirat Ehepartner Kinder

Notizen zu dieser Person

Seinen geliebten Kindern widmet diese Lebensbeschreibung im August 1866 Carl Voigt.

Ich bin am 26. November 1805 zu Naumburg a./S. geboren, wo mein aus Erfurt gebürtiger Vater, Adam Friedrich Christian Voigt, als ein wegen seiner strengen Rechtlichkeit und, was in der damaligen Zeit für ein besonderes Lob galt, wegen seiner Unbestechlichkeit hochgeachteter Advocat lebte. Da ich ihn bereits in meinem dritten Lebensjahr verlor, so habe ich mich leider seiner Persönlichkeit nie lebendig erinnern können.
Meine Mutter, Friederike Sophie Elisabeth, geb. Kürsten war das einzige Kind eines kleinen Kaufmanns, dessen Frau nach dem zeitig erfolgten Tode dieses ihres viel älteren Mannes, ihren ehemaligen Lehrling und damaligen Commis, Johann Friedrich Zätsch heirathete. Es ist mir erzählt worden, daß sie ihm, nachdem sie seine Brauchbarkeit und Nüchternheit gerühmt, mit den Worten: „Nun mein lieber Zätsch, will Er mich heirathen?“ ihre Hand angetragen.
Wie lange diese Ehe gedauert hat und ob sie trotz des Mißverhältnisses der Jahre eine glückliche gewesen, weiß ich nicht, doch scheint mir aus einzelnen Äußerungen meiner lieben seligen Mutter hervorzugehen, daß meine Großmutter ihren so viel jüngeren Mann stark unter dem Pantoffel gehabt haben und daß sie auch gegen ihre Tochter sehr streng gewesen sein mag - so erzählte die gute Mutter, daß sie außer Bibel und Gesangbuch kein Buchhabe lesen dürfen und daß sie, um ihr Verlangen nach anderer Lektüre zu befriedigen, häufig Abends aus dem Laden, unter der Schürze verborgen, ein Bündel aus Maculaturgefertigter Düten mit in ihre Kammer genommen und beim Schein ihrers Lämpchens gelesen habe, um es dann gleich früh beim Öffnen des Ladens wieder an seinen Platz zu hängen. Das mag nun freilich zuweilen eine seltsame Lektüre gewesen sein!
Daß meine selige Mutter trotz solcher Beschränkungen und trotz eines gewiss sehr mangelhaften Schulunterrichts einen so hohen Grad von Geistes- und Herzensbildung erreichte, daß sie zu den edelsten Frauen Naumburgs gerechnet wurde und daß es der Dichter der Urania übernahm, nach ihrem Tode eine Auswahl ihrer Gedichte zu machen und mit einem Vorworte herauszugeben, das beweist, welch eifriges Streben nach allem Guten und Schönen sie beseelt hat.
Mein Stiefgroßvater scheint eintüchtiger Kaufmann gewesen zu sein und Glück gehabt zu haben - ich erinnere mich als Knabe von großen Unternehmungen gehört zu haben, z.B. von einer durch die Continentalsperre bedingten großen Zuckerbeziehung aus Odessa, die auf einer Unzahl kleiner russischer Wagen, also per Achse in Naumburg eingetroffen war -, auch bei seinen Mitbürgern muß er in hohem Ansehen gestanden haben, wie seine Wahl oder Ernennung zum Mitgliede des Stadtraths unter dem Titel „Oberkämmerer“ beweist. Im Jahre 1817 trat er sein Geschäft an meinen nachmaligen Lehrherrn, Carl Fr. Gerischer, ab und kaufte dagegen das Rittergut Plotha vom Leipziger Bankier Winkler, der merkwürdiger Weise später mein Chef wurde.
Meine selige Mutter wurde vonihrem Stiefvater stets als leibliche Tochter behandelt, ja es scheint, daß sie ihm sogar berathende Freundin gewesen, denn man hat mir erzählt, daß er nach dem Tode seiner ersten Frausie wegen der Wahl einer zweiten zu Rathe gezogen, ja ihr die Verlobung übertragen habe. Ich und meine Geschwister müssen seiner zeitlebens dankbar gedenken, denn da uns unsere Eltern nur ein geringes Erbe hinterlassen konnten, so verdanken wir unser kleines Vermögen, und ich speziell die Möglichkeit mich zu etablieren, großentheils seinem Vermächtniß.
Mein Vater starb bereits im Jahre 1809, und meine arme Mutter, die vier Wochen nach seinem Tode meinen jüngeren Bruder Woldemar gebar, hatte für Erhaltung und Erziehung ihrer sechs Kinder allein zu sorgen. Sie bezog mit uns das Dachgeschoß unseres in der Neugasse gelegenen Hauses, um die besseren Räume zu vermiethen, da sie auf diese Einnahme und auf den sehr ungewissen Ertragunseres Weinbergs zur Bestreitung ihrer Ausgaben beschränkt war - ob der kleine Handel mit Plauenschen Weißwaren, den sie sich um jene Zeit zulegte, viel abgeworfen hat, möchte ich bezweifeln -, daß die liebe Mutter oft mit schweren Sorgen kämpfen mußte, besonders in den Kriegsjahren oder wenn der Weinberg in Mißjahren nur Ausgaben und keine Einnahmen brachte, das ist mir noch sehr erinnerlich.
Meine Schwestern, Fritzchen, Rosalie, Emilie und Louise, besuchten das Privatinstitut der Fräulein Stern, wo ich auch als Vorbereitung auf die Bürgerschule, in die wir Brüder kamen, die ersten Anfänge im Schreiben und Rechnen lernte; da es ein Mädcheninstitut war, so wurde ich deshalb von anderen Jungen viel verhöhnt.
Lehrer an der 5. Classe der Bürgerschule war Taschenberg, ein trefflicher Mensch, der auch viel in unserem Hause verkehrte, und mit dem ich auch nach meinem Fortgange von Naumburg und bis zu seinem Tode in Freundschaft verbunden geblieben bin. Während die Söhne der uns befreundeten Familien Pinder, Thränhart und Lipsius, durch tüchtige Hauslehrer dazu vorbereitet, studierenwollten, mußte ich mich, um der guten Mutter so wenig als möglich zu kosten, vielleicht aber auch weil ich mehr Neigung und Befähigung dazu in mir fühlte, als zum Studieren - entschließen, Kaufmann zu werden. Ostern 1819 trat ich, erst 13 1/2 Jahre alt, in der Colonial- und Tabakhandlung von Carl Fr. Gerischer in Naumburg in die Lehre und mußte alle die niederen Dienstleistungen, die damals den Lehrlingen zugemuthet wurden, als Auskehren, Tischescheuern, Wasserholen, Tischdecken u.s.w. besorgen. Schon im 4. Lehrjahr wurden mir die Geschäftsreisen nach Thüringen und den sächsischen Herzogthümern übertragen, die ich im Winter zu Pferde mit Schleppsäbel und Pistolen bewaffnet, und im Sommer im Einspänner, bei den damals nochseltenen Chausseen oft unter großen Beschwerlichkeiten, aber immer kreuzfidel machte, war ich doch mein eigener Herr und wurde ich doch allgemein für einen Commis gehalten! Jedenfalls haben diese Reisen am meisten dazu beigetragen, mich zu einem tüchtigen Reisenden für mein eigenes Geschäft, als welcher ich so entscheidend für das rasche Emporblühen desselben gearbeitet, vorzubereiten. Daß mich mein Prinzipal auch an seinem Schmuggelgeschäft thätigen Antheil nehmen ließ, ist nicht zu billigen - mir war es damals ein Gaudium, den so verhaßten preußischen Zolleinrichtungen ein Schnippchen zu schlagen!
Am 28. Januar 1823 starb meine geliebte Mutter, nachdem sie den großen Schmerz gehabt, im Oktober 1813 ihre blühende Tochter Rosalie im 14. Lebensjahr und einige Jahre darauf meinen jüngeren Bruder Woldemar zu verlieren. Meine älteste Schwester Fritzchen, die noch lange Jahre nachher als das schönste Mädchen Naumburgs gerühmt wurde, war schon vorher an den Regierungsreferendar von Welck nach Dresden verheirathet, wo ich bei Gelegenheit eines Besuchs der ersten Aufführungdes „Freischütz“ unter Webers Leitung von der dritten Galerie aus beiwohnte. Emilie zog zum Großvater nach Plotha,der sich von seiner zweiten Frau hatte scheiden lassen müssen, und wurde nach dessen Tode von den lieben alten Thränharts als Tochter aufgenommen, bis sie sich mit dem Advokat Stöckhardt in Bautzen verheirathete, mit dem sie später nach Petersburg zog, wohin er als Professor des römischen Rechts berufen wurde. - Die jüngste Schwester Louise kam nach Weimar zum Konsistorial-Rath Zunkel in Pension, bei dem bereits Thränhartsjüngster Sohn Adolph als Pensionär war; hier lernte sie den Regierungs-Secretär Brunnquell, ihren Gatten, kennen. So blieb ich allein in Naumburg zurück und fand, nachdem Haus undWeinberg der Erbtheilung wegen verkauft werden mußten, im Thränhartschen und Pinderschen Hause ein Stückchen Heimath. - Ostern 1824 gab ich meine Stelle auf und bezog ein Hinterstübchen im Zätsch'schen Hause, in der Absicht fleißig englisch und französisch zu treiben und mich somit zu einer Stelle vorzubereiten, die ich durch Empfehlung in Hamburg zu erlangen hoffte. Aber schon nach wenig Wochen gab ich diesen Plan auf, da ich durch Vermittelung meines Schulfreundes Robert Kayser eine Correspondenten-Stelle im Bankhause Winkler & Co. in Leipzig erhielt.
Ehe ich aber meine ferneren Erlebnisse erzähle, muß ich noch einmal meiner seligen Mutter und meiner Heimath gedenken. Ich habe schon bemerkt, daß sich meine gute Mutter trotzihrer beschränkten Erziehung einen ungewöhnlichen Grad der Bildung angeeignet hatte, und als Beweis, daß ihr dichterisches Talent bereits bei ihren Lebzeiten in weiteren Kreisen Anerkennung fand, mag der Umstand dienen, daß sie das Gedicht verfaßt hat, womit der Kaiser Alexander im Namen der Stadt Naumburg bei seiner Durchreise begrüßt wurde. Trotz ihrer hervorragenden geistigen Bildung war sie aber nichts weniger als ein sogenannter Blaustrumpf, sondern die sorgsamste Mutter und exemplarischste Hausfrau, erfüllt von innigster Religiosität und demüthigster Hingebung unter die schweren Prüfungen, die ihr Gott wiederholt auferlegte. Ihre Freundin Caroline Pinder hat mir in späteren Jahren manch rührenden Zug von ihr erzählt, unter anderem daß sie sichs zum Gesetz gemacht, alle Wäsche selbst und stets im gebrauchten Zustande auszubessern, letzters weil sie der gewiß richtigen Ansicht war, daßein defectes Stück im Waschen leicht noch defecter werden könnte. Daß sie sich in den Kriegsjahren sehr verdient um die Pflege Verwundeter gemacht haben muß, beweist der Umstand,daß auch sie, mit mehreren Naumburger Frauen, ein russisches Ordenskreuz (der damals herrschenden Noth wegen wahrscheinlich aus unedlem Metall) erhielt, das mit einer Schleife von grün-gelb-schwarzem Bande an die linke Schulter geheftet wurde - ich erinnere mich sie nur einmal damit geschmückt gesehen zu haben - vielleicht beim Friedensfest.
Den Sommer verlebte sie großentheils mit uns auf ihrem nur 1/2 Stunde von Naumburg entfernten, nach Großjena zu reizend gelegenen Weinberge, und in der dortigen Stille sind auch die schönsten ihrer Gedichte entstanden. Die „an einen Freund“ überschriebenen sind an einen Pastor Wankel in Hohenlohe bei Lützen, Taschenbergs Schwager, gerichtet, mit dem sie bis zu seinem frühen Tode im Briefwechsel stand. Das Gedicht „den Manen unserer Rosalie“, nach dem Verluste unserer Schwester entstanden, zeugt von ihrem wahrhaft frommen, gottergebenen Sinne, und ich wünschte, daß sich alle meine Kinder eine Abschrift davon bewahren (s. den Anhang).
Ich verdanke es dem Leben in der schönen Naumburger Gegend und auf unserem so besonders reizend gelegenen Weinberge und dem Einflusse meiner, für die [Natur] unserer Umgebungen so begeisterten Mutter gewiß vorzugsweise, daß sich der Sinn für Naturschönheit schon früh in mir entwickelte; noch mehr aber verdanke ichs dem einfachen Leben im mütterlichen Hause, daß eine möglichst einfache Lebensweise im eigenen Hause Bedingung meines Wohlbefindens geworden ist.
Ich habe schon erwähnt,daß ich nach dem Tode meiner seligen Mutter im Thränhartschen und Pinderschen Hause ein Stück Heimath gefunden hatte, muß aber noch hinzufügen,daß sich ganz besonders die lieben, alten Thränharts in aufopferndster, uneigennützigster Weise meiner und meiner Schwestern angenommen haben, und daß der Vater Thränhart nicht nur unser kleines Vermögen auf das Gewissenhafteste verwaltet, sondern auch daß wirs hauptsächlich seiner dringenden Verwendung zu verdanken haben, daß wir beim Tode unseresguten, aber schwachen Stief-Großvaters nicht ganz leer ausgingen.
Von den Söhnen der genannten beiden Familien gewann Julius Pinder bald meine ganz besondere Liebe - ich habe im Laufe der Zeit viel rührende Beweise der seinigen erhalten, und sie ist mir unverändert treugeblieben bis auf den heutigen Tag, also fast ein ganzes Menschenleben hindurch. Ich betrachte das alsein ganz besonderes Gnadengeschenk des Allgütigen und wünsche, daß meinen Kindern ein ähnliches zu Theil werden möge.
Aus den Kriegsjahren weiß ich mich nur nochzu erinnern, daß wir Jungens kreuzfidel waren, wenn auf den Ruf „die Preußen“ oder „die Franzosen kommen“ die Schule geschlossen wurde, und daß wir auf dem Nachhausewege lustig in dieses Geschrei einstimmten, ohne zu ahnen, daß das Eintreffen der Einen oder Anderen unseren Eltern schwere Sorge und noch schwerere Kosten verursachte - ferner, daß wir im Jahre 1813, weil die Stadt vom Bürgergarten aus mit Kanonen beschossen wurde, einen oder mehrere Tage und Nächte in einer so weit zugemauerten Kellerabtheilung zubrachten, daßwir auf allen Vieren hineinkriechen mußten - daß wir einen französischen Arzt, Dr. Kaiser aus Straßburg, nach der Schlacht bei Leipzig vor den Preußen in der Räucherkammer und seinen Burschen als unseren Winzer verkleidet versteckten, und daß nur Eitelkeit des mit der Haussuchung beauftragten preußischen Offiziers die Entdeckung vereitelte. Dr. Kaisernämlich hatte seine natürlich französischen Pistolen in seinem Zimmer hängen lassen - meine Schwester Fritzchen, die dem Offizier in meiner Begleitung alle Räume öffnete, erblickte die Pistolen beim Eintreten und erschrak so, daß der Offizier hätte Verdacht schöpfen müssen, wäre er nicht, statt sich im Zimmer genau umzusehen, vor den Spiegelgeeilt, um sein Bärtchen zu wichsen - diesen Moment benutzte meine Schwester mit seltener Geistesgegenwart, barg die Pistolen mit der linken Hand unter ihrer Schürze und fuhr fort, mit derrechten die ferneren Thüren zu öffnen. Als der durch ihre Schönheit wahrscheinlich gezähmte Krieger fort war, frug sie mich, ob ich ihr Herz nicht habe schlagen hören. Ihr seies gewesen,als schlage es Jedermann hörbar.
Den Kaiser Napoleon habe ich einmal mit seiner Suite durch die Straßen reiten sehen und nach der Schlacht von Leipzig habe ich in Allmerich, wohin ich mit meinem Lehrer Taschenberg spazieren gegangen, flüchtende verwundete Franzosen aus einem herbeigeholten Topfe mit frischem Wasser aus einem links von der Chaussee gelegenen Quellbrunnen getränkt - einige von ihnen trugen, indem sie auf die Straße nach Kösen deuteten, ob dies der Weg nach Paris sei, was mich sehr amüsierte. Ferner erinnere ich mich, eines Abends mit Taschenberg in das Lager der Baschkiren vor dem Marienthore gegangen zu sein und einen ihrer Pfeile gegen große Glasperlen umgetauscht zu haben sowie auch mit ihm den Verwundeten in der Ottomarskirche, die zum Hospital eingerichtet war, Erfrischungen gebracht zu haben.
Ob der Ruf meiner seligen Mutter als ästhetisch gebildeten Frau oder was sonst die Veranlassung dazu gewesen sein mag, daß Kotzebue, der damals so gefeierte Lustspieldichter, sie auf seiner Durchreise besuchte, und daß die berühmte Händel-Schütz, die Erfinderin der plastisch-mimischen Darstellungen, einen Abend bei uns zubrachte, weiß ich nicht - ich erinnere mich des Ersteren nur dunkel, dagegen der Letzteren, die mir einen Kuß gab, als einer insgesamt schönen Frau noch ziemlich lebhaft.
In Leipzig angekommen, bezog ich anfangs ein Stübchen im Thomasgäßchen, später aber, als mein Freund Julius Pinder mir zu Liebe hier ein Jahr studierte, die 2. Etage eines kleinen Häuschens am inneren Grimmaischen Thore (jetzt Café francais), wo ich bis zu meiner Verheirathung wohnen blieb, und aus dessen Fenster ich im September 1830 eine der brutalsten Scenen der damaligen Revolte, die Zerstörung der Wohnung des wegen seiner Strenge verhaßten, sonst aber braven Polizei-Actuars Jäger mit ansah, deren schauerlichster Moment das Herausstürzen seines guten Flügels aus der zweiten Etage war.
Die ersten Familien, in denen ich hier Zutritt erhielt, waren die der Frau Amtmann Prasse, der Mutter des Advokaten Albert Prasse, ihres Schwiegersohns, des Stadtschreibers Heimbach (an Beide durch die liebenswürdigen Töchter des Regierungs-Raths Baumgarten-Crusius in Roßl a./Harzempfohlen, mit denen ich auf meinen Geschäftsreisen so vergnügte Stunden verlebt) und die des Kaufmanns Hüttner (Associe von Dufour), dessen Frau eine geborene Naumburgerin war. Ich habe diesen gastfreien Häusern manche frohe Stunde zu verdanken. Bald nachher wurde ich auch in die Familie Kuntze (damals Sensal, später Director der hiesigen Feuer-Versicherungs-Anstalt) eingeführt und lernte dort unter anderem meinen lieben Freund Raymund Härtel und die beiden Brüder Schwarz kennen,die mit dem Sohn vom Hause häufig Männerquartett sangen, ein damals noch seltener Genuß.
Ich hatte in Naumburg keine Gelegenheit gehabt, viel gute Musik zu hören - die im Hause der guten Mutter beschränkte sich auf den hübschen Gesang meiner ältesten Schwester zur Guitarre, damals das Instrument par preference -, hatte selbst keinen Musikunterricht genossen, da ich beim ersten Versuche so widerhaarig war, daß meine gute Mutter, der unsere Erziehung schon Kosten genug machte, es leider bei diesem ersten Versuche bewenden ließ, und kam somit, ohne daß in mir der Sinn für Musik irgend erweckt war, nach Leipzig. Hier hörte ich nun im großen Kuchengarten in den berühmten Garten-Concerten, in denen Queisser die Posaune blies und der junge Prinz von Augustenburg, später preußischer General und Gouverneur von Mainz, aus Liebhaberei die große Trommel schlug, zum ersten Male ein gutes, vollbesetztes Orchester. Ich erzählte meinem Collegen Werner, einem tüchtigenKlavierspieler, mit Entzücken von diesem mir ganz neuen Genusse, worauf er erwiderte, daß ich aber noch einen ganz anderen Genuß haben würde, wenn ich erst einmal eine Beethovensche Sinfonie im Gewandhause zu hören bekäme. Diese Concerte hatte ich noch nie besucht, da ich bei 300 rC Gehalt nicht 16 Gr. für ein Concert ausgeben konnte, zumal ich ja für dasselbe Geld zwei Mal ins Theater gehen durfte. Werner ließ mir aber keine Ruhe, und als im Winter die c-moll-Sinfonie angekündigt war, besorgte er mir ein Billet, lud mich aber vorher zu sichein, um mir mit einem Freunde diese Sinfonie 4-händig vorzuspielen und mich hiermit auf die Aufführung vorzubereiten. Wie oft habe ich ihm das später noch gedankt, denn diesen ersten vollkommenen Musikgenuß hätte ich ohne seine Anregung vielleicht noch Jahre lang entbehrt - die Aufführung war, den jetzigen gegenüber, vielleicht noch schwach, auf mich aber machte sie den Eindruck des Gewaltigsten und Vollkommensten, was in dieser Art geleistet werden könnte, und ich kam ganz entzückt und berauscht nach Hause.
Der Tod des russischen Kaisers Alexander am 1. Dezember 1825 und die dadurch hervorgerufenen politischen Befürchtungen verursachten ein so colossales Weichen der Actien- und Fonds-Kurse, daß an allen größeren Börsenplätzen bedeutende Fallissements ausbrachen, und auch hier in Leipzig mehrere der ersten Bankhäuser, darunter Reichenbach & Co, stürzten. Meine Chefs hielten zwar Stand, aber die erlittenen Verluste waren doch der Art, daß der alte, für sehr reich gehaltene Gottfried Winkler genöthigt war, eine Hypothek auf sein Grundstück, das jetzt die Felix- undGellertstraße durchschneidet, aufzunehmen. Die Hamburger Comandite wurde aufgelöst, alle Actien-Unternehmungen eingestellt und das Geschäft immer mehr reduciert, so daß es zuletzt nur noch wenig für mich zu thun gab. Ich habe aber aus dieser Zeit eine heilsame Lehre für meine ganze kaufmännische Zukunft gezogen, nämlich sich nicht durch einen, in ruhigen Zeiten bereitwillig dargebotenen Bankier-Credit zu größerer Ausdehnung seines Geschäfts animieren zu lassen, denn ich habe erfahren, wie schnell in kritischen Zeiten ein solcher Creditzurückgezogen, und wie manches sonst solide Etablissement dadurch gestürzt wurde, und habe mir das später bei meinen eigenen zur Warnung dienen lassen.
Im Juni 1828 brauchte ich in der Struve'schen Trinkanstalt (Reichels Garten) eine Kur und lernte dort beim Promenieren eine Lehrerwittwe, Frau Kuntze mit ihrer Tochter Henriette kennen, welche der gleiche Zweck dorthin geführt. Ich fühlte mich bald von der liebenswürdigen Bescheidenheit und der geistvollen Unterhaltung Letzterer angezogen, und als ich Zutritt in ihrer, mehr als bescheidenen Häuslichkeitgefunden (sie bewohnte mit ihrer Mutter ein kleines niedriges Logis in einem alten Universitäts-Gebäude (Schwarzes Bret, auf dessen Stelle jetzt die Buchhändlerbörse steht), da fühlte ich mich von dem Zauber, den sie darüber verbreitete, und von ihrem seltenen musikalischen Talent unwiderstehlich angezogen, und der 3. August wurde unser, vor der Hand noch stiller Verlobungstag. Ich kann bei der seligen Zeit, die nun für mich begann, nicht länger verweilen - ich fühlte mit jedem Tage mehr, welch' seltenes Wesen ich in meiner Braut besaß, und auch meine Verwandten und Freunde, die anfänglich meinen raschen Schritt gemißbilligt, priesen mich glücklich, nachdem sie meine Auserwählte kennen gelernt. Welche Gewalt sie besaß, im Sturme Herzen zu erobern, bewies sie am Glänzendsten an meinem lieben väterlichen Freunde Thränhart, der mich am härtesten getadelt, der sie aber schon nach der ersten Stunde unseres Besuchs in Naumburg als „sein liebes Töchterchen“ ans Herz drückte!
Heut' zu Tage hat übrigens Niemand einen Begriff davon, mit welchen Strapazen jener Besuch für uns verbunden war, denn da ich nur den Sonntag dazu benutzen konnte, so mußten zwei Nächte dazu zu Hülfe genommen werden, und um Kosten zu ersparen, miethete ich einen Einspänner, in welchem ich mein Jettchen nach Naumburg und Nachts darauf hierher zurück fuhr - in Lützen und Weißenfels, wo wir fütterten, mußten die Leute erst heraus gepocht werden und an jedem Schlagbaum mußten wir warten, bis sich der schlafende Chausseeeinnehmer ermuntert hatte.
All' mein Sinnen und Trachten war nun auf Errichtung eines eigenen Handels gerichtet, also vor allen Dingen auf ein eigenes Etablissement - ich hatte schon früher meinen Freund Berger kennen lernen, der sich in seiner langjährigen Wirksamkeit bei Limburger eine genaue Kenntniß der Seiden- und Garnbranche erworben, und nachdem wir uns von der Rentabilität und Sicherheit eines solchen Geschäftes überzeugt, entschlossen wir uns ein dergleichen zu etablieren - da aber unser eigenes geringes Vermögen dazu nicht ausreichte, so hing die Ausführung unseres Entschlusses lediglich davon ab, ob mir meine Schwäger dazu die erbeteneHülfe aus den Vermögen ihrer Frauen gewähren würden, und ich muß hier mit innigstem Danke gegen sie und meine Schwestern erwähnen, daß dies in der liebevollsten und uneigennützigsten Weise geschah.
Am 1. September 1830 eröffneten wir in einem Gewölbe, Koch's Hof am Markte, links vom Eingange, unsere Seiden- und Garnhandlung en gros und endetail - ich trat nach wenigen Tagen meine erste Geschäftsreise (in einem gemietheten Einspänner, den ich selbst lenkte) nach Sachsen an und hatte da das eigene Glück, in Meißen,Dresden und Chemnitz den dortigen Lokalrevolutionen beizuwohnen. Das Resultat dieser ersten Reise war natürlich nicht glänzend, eröffnete aber doch gute Aussichten für die Zukunft,und da auch das Detailgeschäft einen flotten Gang nahm, so konnte ich, ohne den Vorwurf des Leichtsinns zu verdienen, nun ernstlich daran denken, meine geliebte Braut als Frau heimzuführen.Im November wurden wir in Großzschocher durch den uns befreundeten Pastor Reinhard getraut und bezogen eine sehr bescheidene Wohnung Hainstraße Nr. 27, 2. Etage, und drei Jahre später die erste Etage des Hauses Peterstraße Nr. 23.
Gar gern möchte ich bei den neun Jahren ungetrübten Glücks, die mir vergönnt war mit meinem Jettchen zu verleben, rechtlange verweilen, wenn michs nicht zu weit führte - also nur in Kürze Folgendes: Da nicht vorauszusehen war, welchen Ertrag unser neu errichtetes Geschäft abwerfen würde, so hattemein Jettchen darauf bestanden, den Clavierunterricht, durch den sie sich schon seither selbstständig erhalten, fortzusetzen, um wenigstens ihre eigenen Bedürfnisse davon zu
bestreiten, und ich kann nicht sagen, wie rührend mirs war, als sie mir beim ersten Jahresabschluß l00 rC als Überschuß ihrer Einnahmen übergab. - Nachdem aber die geschäftlichenAussichten immer günstiger wurden, drang ich darauf, daß sie diesen Unterricht aufgab, doch ließ sie sichs nicht nehmen, einigen unbemittelten jungen Mädchen, und darunter auchBertha Constantin, unentgeltlich Stunden zu geben. Theils der Ruf, den meine Henriette als treffliche Clavierspielerin hatte (trotzdem sie nie öffentlich aufgetreten), theils auch die musikalischen Beziehungen, in denen sie in Berlin zu ihrem Lehrer Ludwig Berger, zu ihren Mitschülern Mendelssohn und Taubert und zu den vorzüglichsten Kammermusikern gestanden, mit denen sie im Bendemann'schen Hause vereint musiziert, waren die Veranlassung, daß unser Haus von einheimischen und fremden Künstlern aufgesucht wurde. Es fanden damals hier viel häufiger Künstler-Concerte statt, als jetzt, und ich kann wohl sagen, daß kein fremder Künstler von Bedeutung hier concertiert hat, der uns, sei es mit oder ohne Empfehlung von Kunstgenossen, nicht besucht hätte. Von Geigern ersten Ranges nenne ich: Spohr, Lipinski, Kalliwoda, Moligue, David und den Wunderknaben Vieuxtemps und von Cellisten: Merek, Kummer, Romberg, Groß, die sämmtlich wiederholt Sonaten und Trios mit meiner Frau spielten.
Von Clavierspielern suchte uns unter anderen Ludwig Schuncke aus Stuttgart auf, der fast täglich bei uns verkehrte und nicht ruhte, bis erunsere Bekanntschaft mit dem damals sehr menschenscheuen Robert Schumann vermittelt hatte. Leider erkrankte er nicht lange nachher an der Schwindsucht, und da er hier ganz fremd war, so übernahmmein Jettchen seine Pflege mit unermüdlicher Aufopferung, was er mit rührender Dankbarkeit erkannte. Schumann, dessen weiches Herz seinen Freund nicht leiden sehen konnte, war nach Zwickau geflohen, und so mußten wir es übernehmen, seinem geliebten Ludwig die Augen zuzudrücken und die Feier seines Begräbnisses zu besorgen.
Seit jener Zeit verkehrte Schumann noch häufiger in unserem Hause als früher, brachte oft seine Compositionen brühwarm, um sie sich von meiner Frau vorspielen zu lassen, und schien sich, besonders wenn er allein war, rechtheimisch bei uns zu fühlen. Unter den Freunden von Bedeutung, deren persönliche Bekanntschaft wir ihm verdankten, nenne ich vor allen Chopin, Bennett und Henselt. - Seine Briefe bezeugen amBesten, wie poetisch er sein künstlerisch freundschaftliches Verhältniß zu meiner Henriette auffasste.
Im Sommer 1834 verweilte Mendelssohn hier einige Tage auf seiner Durchreisenach Düsseldorf und forderte uns schon da zum Besuch des Cölner Musikfestes, das er nächstes Jahr dirigieren würde, auf - im nächsten Frühjahr erneuerte er die Einladungschriftlich, und so reisten wir denn zu Pfingsten nach Cöln, über Frankfurt den Rhein hinunter, den ich zum ersten Male sah. Das Fest, vom schönsten Wetter begünstigt, verlief glänzend - auf mich machte die 9. Sinfonie, die ich zum ersten Male hörte, einen gewaltigen Eindruck. Es waren damals Unterhandlungen mit Mendelssohn im Gange, um ihn für die Direction derhiesigen Gewandhaus-Concerte zu gewinnen, und wir boten Alles auf, sein Bedenken - er wollte Pohlenz um keinen Preis verdrängen - zu beseitigen und ihn zur Annahme der Berufung zu gewinnen,was uns auch gelang.
Am 6. Dezember 1835 schenkte uns Gott unser erstes Töchterchen Ottilie. Unsere Freude war umso größer, als wir vier Jahre umsonst gehofft, und fand auch in der, unserem sonstigen einfachen Leben nach glänzenden Taufe ihren Ausdruck - Paten waren der viel mit uns verkehrende Hofrath Rochlitz und - sein Freund David war, als Gast eingeladen, zum ersten Malein unserem Hause und hat seit jener Zeit häufig bei uns gespielt. Auch Mendelssohn war oft bei uns, und von seinem Ottetto, in welchem er die erste Bratsche spielte, fand bei uns die erste hiesige Aufführung statt. Auch bei seinem h-moll-Quartett, das meine Frau vortrefflich spielte, übernahm er die Bratsche und hatte seinen besonderen Spaß daran.
Im Jahre 1836 machtenwir zu Pfingsten eine Reise nach Cassel, lediglich um Spohr zu besuchen, mit dem wir das Jahr vorher durch Rochlitz bekannt geworden. Spohr veranstaltete uns zu Ehren eine Matinee und Frau v. Malzburgeine Soiree, wo wir ihn mehrere seiner einfachen und Doppelquartette vorgeigen hörten. Hier lernten wir Hauptmann kennen, der an der 2. Geige saß, und Fräulein Susanne Hummel, Hauptmann's Braut, eine treffliche Altistin. In späteren Jahren hat uns Spohr bei seiner Durchreise nach Carlsbad mehrere Male besucht und durch Hauptmann, der inzwischen an die Thomaschule berufen, bestellen lassen, daß er Quartett bei uns zu spielen wünsche, was wir dann auch stets mit Stolz arrangierten.
Im Februar 1839 wurde unser zweites Töchterchen, unser leider zu früh verstorbenes liebliches Annchen, geboren, aber von der Zeit an kränkelte meine geliebte Frau - eine Badereise nach Salzburg hatte keinen Erfolg, und schon am 15. Oktober hauchte sie ihre schöne Seele aus. - Welche Theilnahme ihr früher Tod - sie war erst 30 Jahre alt - besonders in musikalischen Kreisen erregt, zeigte sich bei ihrem Begräbniß. Robert Schumann widmeteihr in seiner Musikzeitung einen warmen Nachruf.
Ich stand nun mit meinen beiden, der zärtlichsten Mutter beraubten Kindern allein, und mein Loos wäre noch viel schwerer gewesen, wennsich nicht die treue Freundin meiner seligen Henriette, Alwine Jasper, die sie schon während ihrer Krankheit mit edelster Aufopferung (selbst gegen den ausdrücklichen Willen ihrer Eltern, die Nachtheile für ihre Gesundheit befürchteten) gepflegt, entschlossen hätte, ihre Thätigkeit ganz meinem Hause zu widmen - ich kann ihr
nie vergelten, was sie in jener schwersten Zeit meines Lebens mir und den Kindern gewesen!
Auf Anrathen des Arztes verließ ich der Kinder wegen Ostern 1840 unsere kalte Wohnung nahe dem damals noch stehenden Thore und bezog eine andere im Parterre des Gehe'schen Hauses Tauchaer Straße Nr. l.
Bertha Constantin, die ehemalige Schülerin meines Jettchens und später ihr und Alwinen befreundet, kam ab und zu, Letztere und die Kinder zu besuchen - ich lernte sie bei dieser Gelegenheit näher kennen und kam bald zu der Überzeugung, daß ich meinen Kindern auf der Welt keine bessere, treuerezweite Mutter geben könne als sie. Ihr bescheidenes, sittiges und doch dabei so tüchtiges Wesen hatte meine ganze Verehrung und Neigung gewonnen. Eines Abends Ende November, nachdem ich denbeiden Freundinnen den Wallenstein vorgelesen, begleitete ich Bertha nach Hause und bat um ihre Hand, die sie mir dann auch, nach Beseitigung ihrer Zweifel an der Möglichkeit, die ihr bevorstehende schwere Aufgabe zu meiner Zufriedenheit zu lösen, zögernd zusagte, und zwar - wie sie mir später gestanden - weit mehr in dem Gefühle, die Pflicht der Dankbarkeit gegen mein seliges Jettchen damit zu erfüllen, als aus schon etwa vorhandener Liebe zu mir und - darf ich hinzusetzen - noch weit weniger durch den Wunsch nach einer glänzenderen äußeren Stellung geleitet, da ihr gerade dieser Umstand die schwersten Scrupel machte.
Am 20. Januar 1840 [recte 1841, F.H.] wurden wir in der Kirche zu Neuschönefeld durch unseren beiderseitigen FreundGilbert getraut (nach der Trauung fuhren wir nach Reudnitz zu Hofmeisters zu Kaffee und süßer Kanne), und es begann nun für mich von Neuem ein so glückliches häusliches Leben, das über 20 Jahre währte und nur durch den Verlust unseres herzigen Annchens unterbrochen wurde, die trotz der treuesten Pflege meiner Bertha am Scharlachfieber starb, daß ich Gott nicht genug dafür danken und preisen kann.
Es würde zu weit führen, wenn ich ausführlich der Erlebnisse dieser 20 Jahre gedenken sollte. Gott segnete meine Arbeit mit solchemErfolge, daß ich bald daran denken konnte, meine Sehnsucht nach einem eigenen Hause zu befriedigen. Ich kaufte vom Stadtrath Reichenbach den unserer damaligen Wohnung gegenüber liegenden Garten für den damals hohen Preis von 25 NgC # Elle und erbaute im Jahre 1844 das Haus, das wir im folgenden Jahre bezogen. In der Urkunde, die ich in den Grundstein legte, sprach ich den Wunsch aus, daß uns Gott zu unseren drei Töchtern: Ottilie, Helene, geb. 14. Juni 1842, Henriette, geb. 17. October 1843, einen Sohn schenken möchte, und am 17. August 1845 wurde uns zu unserergroßen Freude unser Julius geboren, dem am 2. September 1850 Woldemar, am l0. December 1851 Elisabeth und am 2. December 1854 Johannes folgten.
Die glücklichen Resultate des Geschäfts und das gute Einvernehmen, in welchem ich mit meinem Freunde Berger und, nachdem derselbe am 1. Januar 1852 ausgeschieden, mit meinen Associes Schäffer, Förster und Sieland stand, gestatteten mir jährlich eine Bade- oder Erholungsreise zu machen, auf denen mich meine theure Bertha öfter begleitete. So reisten wir zusammen (mit Ottilie) nach Ostende, von wo aus ich einenAusflug nach London machte, und später einmal über Paris nach Vichy, wo ich die Kur gegen ein Nierenleiden brauchte, und über Genf nach Chamounix zurück. Ein anderes Jahr bgleitetesie mich nach Karlsbad, sowie nach Gastein und endlich zweimal nach der Schweiz, das eine Mal machten wir in Lindau, Brunnen und Interlaken einen je achttägigen Aufenthalt, damit sie sich in derschönen Luft erhole, und das zweite Mal in St. Moritz im oberen Engadin die Badekur brauchen. Ich zähle die Tage, welche ich mit ihr auf Reisen zugebracht, zu den allerschönsten meinesLebens - ihre Genügsamkeit, ihr heiterer Sinn auch bei Unannehmlichkeiten, ihr stets freudiges Eingehen auf alle meine Pläne, ihr rasch entschlossenes Wesen und vor allem ihre innige Freudean der Natur und ihr feiner Sinn für Kunst machten sie zur liebenswürdigsten, unvergleichlichen Reisegefährtin, und wer wie ich auf meinen vielen Reisen erfahren, wie sehr Laune, Eigensinn, Zimperlichkeit und Eitelkeit der Frauen den Männern die Freude auf Reisen verbittern können, der wird auch mit mir fühlen, welchen Schatz ich auch nach dieser Seite hin an meinerBertha besaß.
Der von mir im Jahre 1853 im Verein mit Herrn Felix errichteten (4.) Kinderbewahranstalt nahm sie sich mit der Energie, die sie stets zeigte, wenn es galt Gutes zu fördern, an und blieb deren aufopferndste Leiterin, so lange, als ihre Kräfte irgend gestatteten - ich habe mir oft gesagt, daß die Verdienste, welche sie sich um Einrichtung und Leitung der Anstalt erworben, diejenigen der Gründer bei Weitem überragten. Ihre seltenen Eigenschaften fanden auch bei meinen hiesigen und auswärtigen Freunden bald volle Anerkennung, und so wurden denn namentlich Goldhorns, Georg Wigands, Hauptmanns, Pinders und Thränharts auch ihr innig befreundet, was sie sehr beglückte.
Im Jahre 1860 stellte sich bei ihr ein Magenleiden ein, das leider der Gebrauch von Elster nicht zu heben vermochte - es steigerte sich vielmehr im Laufe des Winters so, daß die schwersten Besorgnisse in mir wach wurden. Um ihr einen ruhigeren Aufenthalt in schöner Luft zu verschaffen, brachte ich sie im Mai 1861 nach Kösen, wo sie bei der lieben Familie von Schmettau die liebevollste, zarteste Pflege fand, aber ihr Zustand verschlimmerte sich so, daß wir gegen Ende Juli hierher zurückkehrten, wo sie am 21. August ihr schönes, nur ihren Pflichten geweihtes Leben beschloß. Sie war eine wahrhaft edle Natur, voll Selbstaufopferung und heiliger Begeisterung für alles Große und Erhabene und Gattin und Mutter in der edelsten Bedeutung des Wortes - ihre Briefe an mich legen davon ein schönes Zeugniß ab!
Im Jahre 1861 begleitete mich meine Helene nach Gastein - die Hinreise ging über Prag und Wien und die Rückreise über Salzburg und München - bald nach unserer Rückkehr verlobte sie sich und im August begleitete uns der Bräutigam nach Ilmenau, wo wir vierzehn frohe Tage verlebten.
Im Mai 1863 reiste ich mit Jettchen zur Kur nach Carlsbad - im Juli fand Ottiliens Verlobung statt, und im August reisten wir alle mit den beiden Bräutigams nach Oberstdorf, dem Bodensee und Rhein. Es war dies die letzte meiner schönen Reisen, denn schon im März 1864 zeigten sich die ersten Symptome der schweren Krankheit, die trotz des Gebrauchs der Bäder in Rehna und der Kaltwasserkur in der Schweizermühle, wohin mich Jettchen in diesem und dem folgenden Jahre begleitete, nicht gewichen, sondern in stetem, wenn auch langsamem Fortschreiten begriffen ist und höchstwahrscheinlich in nicht gar ferner Zeit meinem Leben ein Ende machen wird.
Bevor ich diese Aufzeichnungen schließe, muß ich noch erwähnen, daß mich's stets sehr beglückt hat, in der Mutter und den Schwestern meiner seligen Berthaso liebe, treffliche Verwandte zu erhalten, und daß ich also auch in dieser Beziehung vor so Vielen bevorzugt gewesen bin. Blicke ich überhaupt auf mein vergangenes Leben zurück, so fühle ich tief, wie reich und unverdient mich Gott im Laufe desselben begnadigt und wie viel besser ich's ihm hätte danken sollen, als es oft geschehen. Abgesehen von den irdischen Gütern, mit denen er mich weit über Verdienst gesegnet, und von den beiden trefflichen Frauen, die er mich als Gattinnen finden ließ und an deren Seite ich so glückselige Jahre verlebte, betrachte ich's als eine besondere Gnade, daß er mir an Leib und Seele gesunde Kinder, von denen mich seither noch keins ernstlich betrübt, wackere Schwiegersöhne und liebe Freunde geschenkt, und bitte ihn, daß er sie auch ferner behüten möge.

Anhang

Den Manen meiner Rosalie

Dein gedenk ich! Auf der Sehnsucht Flügel
hebt der Geist zu jenem lichten Raum
Sich empor von Deinem Aschenhügel,
Fassend Deines Lichtgewandes Saum.
Lieblich steht Dein Bild in voller Klarheit
Vor der Seele, die Dich ewig liebt;
Dich umstrahlt die Glorie der Wahrheit,
Während mich noch dunkle Nacht umgiebt.

Warum mußtest Du so früh vollenden?
Warst Du reif zu einem bessern Sein?
Nahm Dich Gott aus treuen Mutterhänden,
Einem höheren Plane Dich zu weihn?
Wollt' er Dich gebahnt're Wege leiten?
Solltest Du dem Sturm der Zeit entgehn?
Dir schon jetzt die Seligkeit bereiten,
Die wir hier nicht kennen noch verstehn?

Ja, die Züge seliger Verklärung,
Die Dein Geist noch fliehend eingedrückt,
Zeugen von vollendeter Gewährung
Jedes Wunsches,der das Herz beglückt.
Engel leiteten hier Deine Schritte,
Löschten sanft des Lebens Fackel aus,
Schuldlos, rein gingst Du aus unserer Mitte,
Schuldlos, rein empfing Dich Gottes Haus.

Ach, mit Dir, mit Dir erlosch auf immer
Meines dunkeln Lebens schönster Stern!
Doch mir dämmert süßer Ahnung Schimmer,
Nicht auf ewig bleiben wir uns fern.
Wiederfinden nach der Trennung Schmerzen,
Wiedersehn in einem schönern Land,
Wort des Trostes für die bangen Herzen,
Die ein heil'ger Glaube hier verband!

Quellenangaben

1 Website der Familien Mücke und Straubel, Carl Friedrich Eduard Voigt
Autor: Stephan Zaphun
 

MyHeritage.de-Stammbaum

Familienseite: Website der Familien Mücke und Straubel

Stammbaum: 141171491-6

Datenbank

Titel Sachtleben 06 19
Beschreibung Ahnenforschung der Familie Sachtleben, Welter, Knaudt, von Broich
Hochgeladen 2019-06-20 20:14:30.0
Einsender user's avatar Rolf Sachtleben
E-Mail rolfwerden55@googlemail.com
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